Mittwoch, 11. Juli 2007

Thomas Frechberger: Kalt Wien


Frechberger, Thomas: Kalt Wien.
Poeme, Gedichte, Palindrome
Monte Verita 1992, 129 Seiten
ISBN 3-900434-38-7






Kategorie: Buchstabenpalindrome
Art: Einzeiler
Empfehlung: für Lyrikfans
Wertung: Rarität (Auflage nahezu vergriffen)


Im Rückblick mag es fast als Wendepunkt erscheinen. Galten Buchstabenpalindrome über Jahrhunderte nur als rätselhafte Fragmente, werden sie im Ausklang des 20. Jahrhunderts gleich von mehreren Autoren als brachliegende Ressource entdeckt: Wortfügungen, die in ihrer Widerspenstigkeit nur schwer zu bezähmen sind. Neben Herbert Pfeiffer und Anton Bruhin gebührt dabei m.E. auch Thomas Frechberger die Ehre, als "Dompteur der ersten Stunde" genannt zu werden. Wie neu diese Entwicklung seinerzeit war, lässt sich erahnen, wenn man bedenkt, dass in dem Ende 1992 erschienenen Buch "Poetisches Abracadabra"1 bei palindromen Sätzen noch ausschließlich von den lateinischen aus Antike und Mittelalter die Rede ist und Schopenhauers. Ein historischer Bestand, der an zwei Händen abzählbar war.
Sogesehen müssen die 15 in "Kalt Wien" enthaltenen Satzpalindrome den Erwartungshorizont der damaligen Zeit um einiges überstiegen haben. Und sie können sich auch heute noch sehen lassen, z.B.:
Rat kennen hat Sinn, ist Ahnennektar. (S. 114)

Bemerkenswert ist auch, dass sie in eine Lyrik eingebettet sind, die - jugendlich, wortgewaltig und zornig - völlig im Kontrast zu der "Dichtung in Zeitlupe" steht, die Palindromen so eigen ist in ihrer Verlangsamung des Sagbaren. Was beides zu verbinden scheint, ist Frechbergers Hang zu Wortspielen: entfesselt in der Lyrik und gebändigt im Palindrom. Eine wirklich interessante Mischung!
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1 hrg. von Joseph Kiermeier-Debre und Fritz Franz Vogel, DTV 1992, S. 147