Das ABC cum notis variorum, herausgegeben von einem dessen Nahmen im A.B.C. stehet
Leipzig und Dresden, Miethe & Zimmerman 1695, 210 Seiten
Kategorie: Buchstabenpalindrome
Art: Erwähnung
Der Verfasser dieser Sammlung lateinischer Kuriositäten und Sprachspiele ist leider unbekannt. In dem Buch ist auf Seite 161 folgendes zu lesen:
§. 317. Etliche haben mit den Buchstaben also gespielet / daß man ihre Verse zurück lesen / und entweder denselben / oder auch einen contrairen Verstand daraus bringen könen. Die Grammatici heissen es Versus Cancrinos, und führen zum Exempel an:Und auf Seite 166f:
Otto tenet mappam madidam mappam tenet Otto.
Signa te signa temere me tagnis & angis.
Roma tibi subito motibus ibit amor.
Vid.Schmid.Gramm.inHypomn.p.447.
§. 322. Unter andern haben die Buchstaben im A.B.C. auch dazu dienen müssen / daß man sie bald so / bald anders verwechselt / und so genante Anagrammata daraus gemacht. Die Vorteile die dabey können gebraucht werden / sind unterschiedlich. Etliche schreiben die Buchstaben so vielmahl auf ein Papier / als Buchstaben in dem vorhanden Themate sind / und streichen hernach einen nach dem andern aus. Andere machen gewisse Zettel und schreiben auf einen jeden einen besondern Buchstaben / werffen hernach diese Zettel unter einander / so gut sie können. Ein blinder Magister zu Prage hat sich die Buchstaben in Holz schneiden lassen / und hernach durchs blosse Fühlen Anagrammata gemacht. Ich lasse einem jedem seinen Willen. Das weiß ich aber / daß Männer von grossem Judicio sich über solche Dinge nicht leicht machen: Denn es erfordert Zeit / die sie besser anbringen können. Und wenn sich ein Junge Zeit nimt / und Glück hat / kan er offt den vornehmsten Doktor in dieser Kunst übertreffen.In §. 323 folgt dann eine lange Liste überwiegend lateinischer Anagramme. Darunter befinden sich aber auch einige deutsche. Eines davon ist Leben - Nebel:
Interessantes über diese Zeit und ihre Wertschätzung für Anagramme erfährt man in einem Artikel der "Blätter für literarische Unterhaltung" von 1848:
"Es kann nicht überraschen, daß im 16. und 17. Jahrhunderte, wo wie jetzt die Synthese, so die Analyse aus Worten starker Bedeutung, besonders aus solchen die dem Schwärmen fürs Mysteriöse, einer in der Menschenbrust damals ebenso starken Leidenschaft wie je, Vorschub leisteten, neue und auffallende Combinationen aufzustellen. Daher waren jene Tage die Blütezeit des Anagramm, in seiner Definition die Versetzung der Buchstaben eines Namens zu Hervorbringung eines oder mehrer Worte, welche dem Träger desselben zu Nutz oder Schaden gereichen. [ ] Gleich der Astrologie war das Anagramm Product einer geachteten und salarirten Kunst. Ludwig XIII. gewährte seinem Anagrammatisten ein Jahrgeld von 1200 Livres, und der begünstigte artiste - Villon hieß er - der seinen Titel: "königlicher Anagrammatist" wahrscheinlich für gleichbedeutend hielt mit dem "königlicher Prophet", gewann sich unsterblichen Ruhm durch eine Reihe in Anagrammen verfaßter Prophezeiungen. [ ] Im 16. und 17. Jahrhunderte erreichte die Kunst ihrer höchste Ausbildung als Mittel den Großen zu schmeicheln, und den Gegner zu verspotten."1Ein eindrucksvolles Beispiel für Letzteres gibt Johannes Baptista Friedreich, der in "Geschichte des Rätsels" einige Spott-Anagramme erwähnt2, die nach der Entstehung der Illuminaten-Sekte kursierten. Aus "Illuminatus" wurde auf diesem Wege z.B.
ut limis luna (gleich dem schielenden Monde)
at illuminus (selbst ohne Licht)
saluti linum (des Heiles Fallstrick)
lumina lusit (er heuchelt Aufklärung)
illusit manu (er trieb mit Handschlag Gaukelspiel)
mitia nullus (Keiner kennt Humanität)
in tali mulus (in einem solchen steckt ein Maulesel)
manus illuti (unreine Hände)
luti salinum (des Kothes Gefäß)
Das hier vorgestellte Exemplar befindet sich im Bestand der Universitätsbibliothek Braunschweig: Signatur 1004-6041. Als E-Buch liegt es dort auch in digitaler Form vor und ist vollständig online zugänglich.
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1 Blätter für literarische Unterhaltung. Jahrgang 1848. Zweiter Band. Leipzig: Brockhaus, 1848, Seite 1292
2 Friedreich, Johannes Baptista: Geschichte des Räthsels. Dresden: Verlagsbuchhandlung von Rudolf Kunze, 1860, Seite 21