Mittwoch, 25. Juli 2007

Melker Marienlied


Melker Marienlied
Melk, Bibliothek des Benedektinerstifts, Cod. 391 (486; I 1)
Handschrift eines unbekannten Verfassers









Kategorie: Buchstabenpalindrome
Art: Anklang

Das Melker Marienlied gilt als das erste deutschsprachige. Es entstand vermutlich zwischen 1130 und 1160 in einem Kloster im bayerisch-österreichischen Raum und wurde durch die in Melk aufbewahrte Handschrift überliefert. In ihr heißt es an dieser Stelle:

"Eva brachte uns zweifachen Tod,
von denen einer immer noch herrscht.
Du bist das neue Weib, das uns das Leben brachte!
Der Teufel stiftete an zum Verderben,
dir verkündete Gabriel das Wort Gottes, heilige Maria!"

Darin spiegelt sich eine eng mit Palindromen verbundene religiöse Vorstellung wider, die bis in die heutige Zeit von Bedeutung ist:
"Dieser Zusammenhang von Erbsünde und Erlösung, von Eva und Maria kommt auch in dem kleinen Spiel zum Ausdruck, bei dem man Eva zuerst von vorne und dann von rückwärts liest. Dabei wird aus Eva Ave, der Anfang des Engelsgrußes an Maria. Auch der Hymnus “Meerstern ich dich grüße” verweist auf diesen Zusammenhang von Eva und Ave: “Sumens illud Ave...Mutans Evae nomen - Ave Mutter, wende Evas Namen!”1
Für das im Zitat angesprochene "Ave maris stella" ist eine deutsche Übersetzung aus dem 12. Jahrhundert belegt2:

Sie zeigt, was sich in den Umschreibungen beider Texte verhüllen könnte: ein lateinischer Palindromzusammenhang, der zwar bekannt war und gemeint wurde, im Ergebnis aber unausgesprochen zwischen den Zeilen stehen blieb, wenn die Autoren statt Ave sinngemäße Formulierungen wie "Worte Gabriels" oder "Gruß aus Engels Munde" verwendeten.

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1 Lang, Walter in: Der Fels 3/1997, Seite 68
2 in Kehrein, Joseph: Kirchen- und religiöse Lieder aus dem zwölften bis fünfzehnten Jahrhundert, Paderborn: Verlag von Ferdinand Schoeningh, 1853, Seite 50