Einige Konstellationen in Goethes Werken sind in das Fadenkreuz der Literaturforschung geraten, weil sie mit Palindromen im Bund stehen könnten:
Römische Elegien (1788-90): ROMA - AMOR
The Elegies celebrate both exuberant sexuality and reflectivity. They are driven by carnality as much as by thought wich delights in culture, civilization. This fusion of the physical and the spiritual is crystallizes in the very name of the city: Roma is a palindrome: if read backwards, it spells Amor. And so we read in the first Elegy:Eine Welt zwar bist du, o Rom; doch ohne die LiebeRoma-Amor is the briefest formulation for Goethe's life-long conviction that without Eros there is quite simply no world.1
Wäre die Welt nicht die Welt, wäre denn Rom auch nicht Rom.(13-4)
Faust (1808): STETS
Ein Teil von jener Kraft,BINDER bemerkt hierauf Bezug nehmend, dass Mephisto dreimal das Adverb stets benutzt.
Die stets das Böse will und stets das Gute schafft.
[...]
Ich bin der Geist, der stets verneint!
Und das mit Recht, denn alles, was entsteht,
Ist wert, daß es zugrunde geht;
Drum besser wär's, daß nichts entstünde.
So ist denn alles, was ihr Sünde,
Zerstörung, kurz das Böse nennt,
mein eigentliches Element.
[...]Dies ist vielleicht deshalb bedeutend, weil STETS ein Palindrom ist: Man kann es vorwärts und rückwärts lesen. Dies weist möglicherweise auf die Kunst des Verdrehens hin: Wie immer man das Böse drehe, es kommt stets das Gute heraus.2
Wahlverwandtschaften (1809): OTTO
Zu unerreichter Meisterschaft hat Goethe die Lust an Namens- und Buchstabenspielen in seinem Roman Wahlverwandschaften getrieben. Seine vier Protagonisten tragen alle mitsamt Variationen eines Namens, der genau vier Buchstaben hat und ein Palindrom ist: Otto. Wie Goethe die Bedeutungsfülle dieser Buchstabenkombinationen entfaltet (Otto-Lotto-Gott-Goethe-tot-Toto), ist atemberaubend.3
Goethe - also ein heimlicher Liebhaber von Palindromen? Wohl eher nicht ;) In einem Brief an Schiller bekundete er 1798 seine Abneigung gegen jene "Teufelsverse" mehr als überdeutlich:
Der moderne Orakel-Aberglaube hat auch manches poetische Gute, nur ist gerade diejenige Species, die Sie gewählt haben, dünkt mich, nicht die beste, sie gehört zu den Anagrammen, Chronodistichen, Teufelsversen, die man rückwärts wie vorwärts lesen kann und ist also aus einer geschmacklosen und pedantischen Verwandtschaft, an die man durch ihre incurable Trockenheit erinnert wird.
_________________
1 Martin Martin Swales and Erika Swales, Reading Goethe: A Critical Introduction to the Literary Work. Rochester, N.Y. and Woodbridge, Suffolk: Camden House, 2002. S. 44
2 Tim Oliver Sander: Teufelsgestalten in der deutschsprachigen Faustliteratur. GRIN Verlag, 2007. S. 40f
3 Jochen Hörisch: Ein seltsamer Gast: Tristan/Tantris. Tantrische Motive in Wagners Tristan und Isolde. In: Oya Erdoğan, Hans-Dieter Bahr (Hrg.): Im Garten der Philosophie. Wilhelm Fink Verlag, 2005. S. 116