Sonntag, 23. Dezember 2007

Das längste Palindrom


Als längstes deutsches Palindrom in einem Wort gilt gemeinhin der Reliefpfeiler mit 13 Buchstaben. Um dabei als nativ, im Sprachgebrauch befindlich zu gelten, wird hierzulande der Duden als "Führungszeugnis" herangezogen. Kunst- bzw. Phantasiepalindrome bleiben auf diese Weise außen vor. Denn Kraft der Imagination ließen sich diese in unnatürliche Längen ziehen. Und das bedeutete wohl auch für die Sprache so etwas wie Wettbewerbsverzerrung ;) Das macht das finnische Wort Saippuakauppias (Seifenverkäufer) mit 15 Buchstaben zum vermeintlichen Rekordhalter. Bei näherer Betrachtung erweist sich jedoch die Ausschlussbedingung 'in einem Wort' im wahrsten Sinne als "Einfalls-Tor". Denn anders als der in voller Symmetrie entfaltete Reliefpfeiler schlummern im Duden noch etliche Spiegelfragmente wie Rasiermesser oder Klapphandys - entschärft und im Stand by:
15 Markgraf - arg Kram
15 Torbogen - Ego, Brot
16 Granulat - Tal unarg
16 Niesreiz - Zier sein
16 Eheleben - Nebelehe
17 Nebelboje - Jobleben
17 Adressant - nasser da
17 Negierung - nur eigen
17 Redeweise - sie weder
18 Eldorados - so da rodle
18 Regalbrett - Erblager
19 Geiselhaft - fahle Sieg
19 Markierung - nur Ei-Kram
19 Marktfahrer - Haftkram
19 Marktführer - Hüftkram
19 Eingeweide - die weg nie
19 Liebesnest - Sense, Beil
20 Gewebebank - Knabe, Beweg
20 Rhomboeder - Rede ob Mohr
21 Trägerrakete - Karre gärt
21 Einlagerung - nur egal nie
22 Spareinlage - egal nie Raps
22 Negerlese in - Nieselregen
23 Egalisierung - nur Ei, Silage
24 DNA, LSD, Name in - Niemandsland
25 Relativierung - nur Ei vitaler?
25 Rhinallergose - so grell an ihr
27 Traduzianismus - um Sinai zu Dart
27 Lateinamerika - Fakire, Manie, Tal
29 Kolossalstatue - neu tat's Lasso & Lok
31 Notaufnahmelager - egalem Hanf u.a. Ton
Allesamt funktionierende Palindrome. Mit einem "Vermummungsverbot" wäre hier nicht gedient: Palindrome lassen sich nicht auf Wortgrenzen festnageln. Wer einen solchen Offenbarungseid von ihnen verlangt, verkennt ihre wirkliche Natur. Sie sind und bleiben ein unablässiges Versteckspiel mit der Sprache. So gesehen sind die bekanntesten Palindrome eigentlich nur jene, die sich dabei am Dämlichsten anstellten ;) Ein Grund mehr, mit solcherlei Rekorden vorsichtig zu sein. Wo wir das Ende der Fahnenstange nicht kennen, sollten wir auch keine Flagge hissen: es könnte gut sein, dass sie nur auf Halbmast weht. Lassen Sie sich also nicht vorgaukeln, irgendjemand wüsste, wie weit man bei diesem Spiel zählen und gehen kann. Selbst bei 40000 ist da noch kein Ende in Sicht ...

Mittwoch, 19. Dezember 2007

Olaf Probst: Soll und Haben


Probst, Olaf: Soll und Haben.
Ein indexikalischer Zwischenbericht

Gutleut-Verlag 2007
Teil 1: Soll, 148 Seiten, ISBN 978-3-936826-52-4
Teil 2: Haben, 192 Seiten, ISBN 978-3-936826-53-1
2 Bücher im Schuber, ISBN 978-3-936826-51-7




Künstler: mcloop.net
Vertrieb: Gutleut-Verlag

„Grauwerte“, „Undrawings“, „Solarzeichnungen“, „Palindromschleifen“ – dies sind Namen von Werkgruppen des Künstlers Olaf Probst, die sich durch die jeweils angewandte künstlerische, meist zeichnerische Technik sowie konzeptuell voneinander unterscheiden. Die Materialien sind vorwiegend Schrift und Sprache, die der Künstler nach verschiedenen Prinzipien so lange übersetzt, bis sie fremd werden und sich der gewohnte Umgang verkehrt. Auf diese Weise ist ein eigener künstlerischer Kosmos entstanden, der zunächst unzugänglich erscheint – eine Annäherung gibt der nun vorliegende monografische Versuch, der das in den letzten 25 Jahre entstandene Werk aufarbeitet. Im Textband Soll beleuchten die Kunsthistoriker Johannes Meinhardt und Christine Taxer sowie der Lyriker Sascha Anderson das Werk aus verschiedenen Perspektiven. Der aufwendig ausgestattete Bildband Haben enthält durchgehend Abbildungen. Olaf Probst schreibt darin u.a.:
"Bekanntermaßen ist ein Palindrom ein Wort, das, in beide Richtungen gelesen, denselben Sinn ergibt. Seit 1999 entdecke ich solche Palindrome und bilde aus langen Wortketten bestimmte Formen. Manche Worte oder Buchstabenfolgen sind unechte Palindrome, also Pseudopalindrome oder "Auf-Teufel-komm-raus-Palindrome".
Die Liste enthält alle bislang verwendeten Palindrome.

Palindromschleifen:

abrakadabra
actuelleutcactuelleutca
allonenolla
deinsniemeinsnie
evereve
globalocalacolabolg
hohoh
ideeneedi
idiotoidi
infinifni
kokok
lapsuspalapsuspal
libidodibil
I0I0I
meinsniedeinsnie
monomnowon
nebeleben
nonon
nowonmonom
nunun
ohoho
okoko
onanieinano
o+o+o
popop
reverever
selfles
sexesseyes
seyessexes
solos
sosos
stetstets
visionoisiv
wowow
wowieiwasawerewannaworinirowomitimowohinihoworanarowobeiebowoherehowarum-
urawessenesseworüberebürow"

Dienstag, 18. Dezember 2007

ensemble-son-et-lumiére: oh cet echo!


ensemble-son-et-lumiére: oh cet echo!
audiovisuelle Performance, 2007




Web: son-et-lumiere.de
(mit Hör- und Sehproben)

ensemble-son-et-lumiére: Micheal Frangen (Trompete), Andreas Kappler (Perkussion), Andreas Henrich (visuelle Inszenierung)

"Das Palindrom "oh cet echo" ist sprachspielerischer Ausgangspunkt der musikalisch-visuellen Inszenierung, die den Klang, das Spiel und die Musik von Trompete und Percussion in Beziehung bringt zu sich in der Zeit entwickelnden, variierenden und verwandelnden Bildern und visuellen Eindrücken.
Die Tatsache, dass das Palindrom, das selbst schon wie eine kleine Sprachmusik klingt, vorwärts und rückwärts lesbar ist, verweist auf die sprachliche Bedeutungsebene, aber mehr noch auf die Wechselbeziehung von Musik und Bild bzw. Bild und Musik in diesem Vorhaben. Die Improvisation auf den Instrumenten erklingt als Widerhall der visuellen Ereignisse, des inszenierten Lichts; die bildlichen, durch das Licht hervorgebrachten Projektionen sind ein Echo des akustischen Geschehens. Dabei wollen sich die Eindrücke der beiden Sinneskanäle nicht lediglich doppeln, was sie letztlich auch nicht könnten, sondern in einen Dialog treten, der mehr ist, als die Summe seiner beiden künstlerischen Teile.
Die beiden Ebenen Musik und Bild oder Klang und Vision greifen aber auch mit ihren jeweils eigenen Mitteln das Echo-Thema auf durch spezifische musikalische beziehungsweise visuelle Formen und Strukturen. Die akustische Raumsituation, verschiedene Raumpositionen, Projektionen auf mehrere Ebenen bzw. gestaffelte Raumflächen der Architektur lassen das Echo-Thema auch in dieser Hinsicht hör- und sichtbar werden."

Sabine Richter: nebel-leben


Richter, Sabine: nebel-leben
Neoninstallation, 2000
Lorenzkirche Nürnberg





Web: richter-sabine.de


"Das Leben wird vorwärts gelebt und rückwärts verstanden."
(Søren Kierkegaard)


Sabine Kammerl: Text-Räume


Kammerl, Sabine: Text-Räume
Installation, 2003
Eingangshalle Martin-Luther-Klinikum, Halle (Saale)



Web: sabine-kammerl.de

"Palindrome - vorwärts wie rückwärts lesbar - schließen sich in den Karées der Stahlbetonträger zu Buchstabenketten zusammen.

Im ersten Geviert reihen sich die Buchstaben zum Palindrom LEBENSNEBEL, im zweiten steht NEBENUNSNUNEBEN zu lesen. Im dritten Text-Raum trifft der Besucher auf die endlose Textzeile DIELIEBEISTSIEGER. Bei diesem Palindrom verändert sich die Bedeutung in umgekehrter Lesrichtung zu REGEISTSIEBEILEID.

Man könnte bei den Palindrom-Karées von einer statischen "Laufschrift" sprechen, die der Betrachter selbst "in Gang" setzt.

Die Text-Räume sind Teil der bestehenden Struktur und spielen sich nicht in den Vordergrund. Sie stehen zur Entdeckung und Entzifferung durch die Besucher, Patienten und Klinikumsmitarbeiter bereit."

Sonntag, 16. Dezember 2007

Ecke Bonk: aide moi o media


Bonk, Ecke: aide moi o media
Alu-Lichtkasten, Spiegel, 1997, 151 x 242 cm
Sammlung Neue Galerie am Landesmuseum Joanneum, Graz (AT)







In einem Zeitraum von 1986-96 entstanden, war der Spiegel mit der palindromen Licht-Inschrift erstmalig 1997 auf der documenta X im Rahmen der Installation "The typosophic pavilion" zu sehen, einer Gemeinschaftsausstellung mit Richard Hamilton. 2006 richtete das Musée André Malraux in Le Havre (FR) mit der Ausstellung 'Continuum' einen speziellen Fokus auf palindrome Kunst, in der neben "aide moi o media" auch weitere Arbeiten von Ecke Bonk gezeigt wurden:
- no it is oppositon, 1997, Spiegel, 151 x 242 cm
- o grammar go, 1997, Spiegel, 151 x 242 cm
- in girum imus nocte et consumimur igni, 1987, 2 Glasplatten, 45 x 60 cm.

Über Ecke Bonk (* 1953 in Berlin):

Herbert Pfeiffer: Palindrome


Herbert Pfeiffer: Palindrome. 26 Textbilder
Schwarz-Weiß-Drucke, 1995, 30 x 30 cm
in weißer bedruckter Kassette, Auflage 100








Web & Vertrieb: herbertpfeiffer.de

André Thomkins: Palindrome auf Straßenschildern


Thomkins, André: Palindrome
emaillierte Straßenschilder, 1968, 25 x 70 cm
Il Giardino di Daniel Spoerri, Seggiano (IT)






Bildquelle: SocialDesignZine
Künstler: Thomkins.com
Ausstellung: Il Giardino di Daniel Spoerri

André Thomkins konzipierte diese Palindrome 1968 für die Außenwand von Daniel Spoerris Restaurant in Düsseldorf. Insgesamt sollen es etwa einhundert gewesen sein. Mehrere Dutzend davon sind heute im "Il Giardino di Daniel Spoerri", einem in der südlichen Toskana gelegenen Kunst- und Skulpturenpark, zu besichtigen (Rundgang Nr. 43):














Über André Thomkins (1930 - 1985):

Sonntag, 9. Dezember 2007

Zufallsfund

Bei den andauernden Ausgrabungsarbeiten im Wortsteinbruch stieß ich heute auf ein wunderschönes Palindrom. Einziger Wermutstropfen - es ist ein englisches:
deep sleep - peel speed
(Tiefschlaf - Geschwindigkeit des Abblätterns/Herausschälens)

Es gibt sie also doch, die bedeutungsvollen Palindrome ...

Manchmal ergeben sich auf diese Weise auch palindrome Joint-Ventures: man schaue sich nur einmal das deutsche Wort "doof" an. Im Englischen nimmt es jeder ohne Scheu in den Mund ;) Von diesen Sprachwandlern gibt es mehr als man denkt. Hier einige, die im Roman ein Zuhause fanden:

"animal sadness". Irre
zerrissen das Laminat

gar "Freedom of Arts"
Trafomode erfragt

No deism: hurt & lewdness.
~ßend Weltruhm sie don~

"Terra Nostra". Negieren
~ner Eigenart so narre

im Nu - "Fiat Nox!" - anregt
gern Axon-Taifun mi~

"La bella vita": Kolibri - die Seele.
Gelee sei dir bilokativ alle bald

Ragout - "o domado"
Tod "a modo tuo" gar

eines Anreizes sannen? Earth closed.
Gnade, solch tränennasse Zier! Nase nie

"Regnum Hominis"
~sin im Ohm ungern

"Urbi et Orbi"
Brot, Ei, Brut


Montag, 3. Dezember 2007

Alexander Moszkowski: Ein tausendjähriges Rätsel

+ S + A + T + O + R
+ A + R + E + P + O
+ T + E + N + E + T
+ O + P + E + R + A
+ R + O + T + A + S

So sieht das Rätsel aus, das nun schon durch die Jahrhunderte vielen Forschern, vornehmlich Philologen, arges Kopfzerbrechen verursacht hat. Als Inschrift an geweihten Orten hielt es die Betrachtung Unzähliger magisch gebannt, viel Scharfsinn hat sich an ihm gewetzt, allein bis heute ist es nicht gelungen, den Sinn der fünf Zeilen aufzudecken. Man erkannte nur immer wieder, daß es sich um ein höchst merkwürdiges Buchstabenspiel handelte, vielleicht um eine Beispiellosigkeit. Das drängt sich schon dem flüchtigen Blick auf. Man kann die fünf Worte von links nach rechts, von rechts nach links, von oben nach unten, von unten nach oben lesen, – immer ergibt sich dasselbe. Es ist also, um den gebräuchlichen Kunstausdruck anzuwenden, ein »Palindrom«, und zwar ein Palindrom in vierter Potenz.

In dieser Merkwürdigkeit liegt aber nur ein äußerliches Kennzeichen des berühmten Rätsels. Die tiefer schürfende Frage richtet sich auf etwas anderes: Was hat dieser kuriosen Anordnung zum Range einer oft wiederkehrenden Inschrift verholfen? Mit der bloß spielerischen Deutung kommt man da nicht aus. Eine Inschrift muß sinnvoll sprechen; und wenn sie in Rätselform eine Frage stellt, so muß wenigstens die Fragestellung verständlich werden. Hier sprach eine Sphinx anscheinend lateinisch; mit den einzelnen Worten konnte man zur Not fertig werden; aber nicht der leiseste Verstandeszusammenhang wollte sich ergeben, und unter allen Grüblern, die dieser Sphinx gegenüberstanden, ist bis heute ein Ödipus nicht hervorgetreten.

Man hätte an eine mönchische Laune glauben können, wären jene Worte nur irgendwo in einer Klosterecke oder handschriftlich in einem Brevier angetroffen worden. Aber weit über solch enge Begrenzung haben sie sich fortgepflanzt, mit einer Kraft und Dauer, wie sie nur einem sinnigen Zitat eignen können. Eine ganze Literatur hat sich um sie aufgebaut; sie nennt die Stätten, die sich jener Inschrift zur Behausung bieten: die Kirche der Augustinerinnen von Verona, die Mutterkirche von Magliano, verschiedene französische und englische Kirchen; auf dem Pflaster der Sakristei der Kirche Pieve Terzagni in Tremona ist die Inschrift um das Mosaikbild der vier Evangelisten eingelassen; aufgenommen wurde sie in der Peterskirche bei Capestrano; und über Europa hinaus hat sie sich nach Ägypten und Äthiopien fortgepflanzt. Und nicht nur in Kathedralen und Basiliken hat sie sich ansässig gemacht; man findet sie in einer Bibel der Karolingerzeit, auf einem Siegelstempel spanischer Kirchenbehörde, auf den Stempelmarken der österreichischen Schatzkammer von 1572, auf Medaillen, auf dem Boden eines der Insel Gotland entstammenden Silberbechers, vermutlich noch an vielen anderen Orten; immer begleitet von den stummen, ach so vernehmlichen Seufzern Tausender: Ich weiß nicht, was soll es bedeuten!

Ich glaube nun, daß ich imstande bin, eine Lösung des Rätsels vorzulegen. Es mußte unüberwindlich bleiben, solange wir nur mit dem Lexikon bewaffnet es angreifen wollten. Bei erstmaliger mechanischer Zerlegung zerfällt die Inschrift in zwei Teile, deren längerer kaum mehr beansprucht als das Wissen eines Tertianers. Sator: der Sämann; Tenet: hält; Opera: die Werke; Rotas: Flexionsform von rota, das Rad; vielleicht von rotare: kreisförmig umherdrehen. Aber »Arepo«? Starr und glotzäugig blickt dieses Wort aus dem magischen Quadrat in die Welt; kein Wörterbuch kennt es in dieser Form; in ihm scheint das Geheimnis der Schrift beschlossen, die sich sonach geradezu den Titel des Arepo-Problems verdient hat. Nur eine verwandte Bildung bietet sich zur Nothilfe: Arepennis, ein gallisches Wort, aus dem das spätere »arpent« entstand, in der Bedeutung eines Ackers von der Größe eines halben Morgens. Immerhin, vom Sämann zum Acker bestand die Begriffsbrücke; betrat man sie, so konnte man sich allenfalls bis zur vierten Zeile durchhelfen. Aber mit dem Wort »Rotas« war nichts anzufangen. Es fiel mit seinem radförmigen Inhalt aus der landwirtschaftlichen Beziehung heraus, und man sah sich gezwungen, zu transzendenten Deutungen zu flüchten.

Alle Möglichkeiten wurden durchstöbert. Bei Cicero heißt es: fortunae rota, die Unbeständigkeit des Glücks; im Lukrez steht: solis major rota, die kreisförmige Sonnenscheibe. Das ergab Hinweise auf Welt und Schicksal, die so eine Inschrift sehr nötig brauchte, um einigermaßen mit dem Anspruch auf Bedeutung und Würde zu bestehen. Man besann sich auf die Rota Romana, als eines Gerichtshofes im ehemaligen Kirchenstaat. Allein die geheimnisvolle Inschrift reicht in der Zeit weiter zurück als das Bestehen dieses Tribunals, und zudem paßte die Rechtspflege in keiner Weise auf irgend einen erträglichen Sinn des Ganzen. Ein italienischer Gelehrter verlegte ganz mystisch die Rota, den Radbegriff, in die Inschrift selbst, die nach vier Seiten gelesen dasselbe ergibt, sich also umdreht wie ein Rad. Wie Wind und Rad soll demnach die Inschrift ein Sinnbild geben für das Unendliche, für die Ewigkeit, für die Anfangs- und Endlosigkeit Gottes. In dieser gehobenen Umschreibung liegt zugleich der Verzicht auf ein deutliches Erfassen der Worte. Und viel mehr war aus den Auskünften kenntnisreicher Philologen, denen ich das Problem vorlegte, auch nicht herauszubringen.

Trotzdem kam ich von der Vermutung nicht los, daß eine Übersetzung, wenigstens in Annäherung, möglich sein müsse. Gab es ein Mittel, den Radspuren der Rota noch nach anderer Richtung zu folgen? Führte eine Spur vielleicht auf den Boden der Inschrift selbst, auf Tempelgrund?

Das entspricht nun tatsächlich der geschichtlichen und baulichen Wirklichkeit. Auf dem Boden der Weltkirche, zu Sankt Peter in Rom, befand sich unweit des Eingangs die »Rota Porphyretica«, ein kreisrunder, dem Boden eingefügter Porphyrstein, ein uraltes Wahrzeichen, dem für das Zeremoniell die größte Bedeutung zukam. Auf ihm hatte der kaiserliche Kandidat vor der Krönung sein Glaubensbekenntnis abzulegen. Auf dieser Rota wurde zelebriert, auf ihr wurden weltgeschichtliche Verträge geschlossen. Der Platz im Mittelpunkt der Rota beanspruchte im Heiligtum noch eine besondere Weihestellung.

Ganz zwanglos darf man weiter schließen, wenn man das engere Symbol für den größeren Begriff setzt, wie man Thron oder Szepter für das Königtum, die Fahne für das Regiment anspricht: Als Teil für das Ganze gesetzt bedeutet Rota: die Kirche; eine rhetorische Figur, die im Rahmen eines Spruches, eines Zitates vollkommen verständlich erscheint.

Nun gewinnt der vermeintliche Unsinn jener Buchstabenspielerei allmählich ein sinniges Gesicht; und zur restlosen Übersetzung bedarf es nur noch einer unschwierigen Preisgabe grammatischen Zwanges. Nehmen wir Arepo als den mundartlich verschobenen Beugungsfall von Arepennis, Acker, Scholle, Hufe; nehmen wir ferner das Schluß-s von Rotas als einen Ersatz für den Genitiv (wofür ja Analogien vorliegen, z. B. in »pater familias«), und die Aufgabe ist gelöst. Ein klarer, mit Herkunft und Örtlichkeit schön harmonisierender Satz erwächst aus dem Palindrom. Er heißt zunächst wörtlich: Der Sämann auf dem Acker hält (erhält, bewahrt, betreut) die Werke der Kirche; anders ausgedrückt könnte er die Form des Spruches annehmen:
Der Sämann, der seinen Acker bestellt,
Betreut die Werke der Kirchenwelt.
Hierin wäre eine Interessengemeinschaft und Solidarität zwischen den Kreisen der irdischen und der himmlischen Werktätigkeit ausgedrückt. Und deutlicher oder zweckdienlicher braucht sich ja eine Inschrift an geweihtem Platz gar nicht auszudrücken.

Daß sie außerdem noch das Wunder leistet, in jeder gewählten Leserichtung den gleichen Klang und Sinn zu ergeben, verbürgt ihr den Rang des Unikums. Um dieses Einzigartige und Unwiederholbare zustande zu bringen, mußte sich eben der verschollene Verfasser der Inschrift an zwei Stellen zu einem mäßigen Zugeständnis an die Grammatik entschließen. Die rein formale Genauigkeit konnte nicht entscheiden und verbieten, wo es galt, aus der Unendlichkeit aller Wortfolgen einen so staunenswerten Sonderfall zu gewinnen. Wir besitzen zwei lateinische Sätze und einen griechischen Spruch, die umkehrbar sind, d. h. vor- und rückwärts gelesen das Gleiche ergeben. Aber das sind ja Kleinigkeiten gegen unser magisches Quadrat, das sich der identischen Lesung nach vier Seiten öffnet. Durch ein Jahrtausend hat es sich, selbst unter der Larve der Sinnlosigkeit, als ein Mirakel erhalten. Glückt es nun noch, die uralte Verschleierung zu beseitigen und in dem Gestammel eine verständliche Menschenrede zu erkennen, so tritt noch ein weiteres Wertmaß auf: das der Würde. Die von mir vorgeschlagene Lösung erhebt nicht den Anspruch auf Endgiltigkeit; sie zeigt indeß einen Weg, und selbst einem Bezweifler wird sie in ihrer vorläufigen Fassung lieber sein als der blanke Verzicht auf irgendwelche Erklärung.

Ich darf feststellen, daß mein Lösungsversuch die ganze uralte Arepo-Frage erneut ins Rollen gebracht hat. Ich geriet in ein langanhaltendes Kreuzfeuer von Zuschriften und Artikeln, die auf allen erdenklichen, logischen wie abenteuerlich verschlungenen Denkwegen diesem Problem beizukommen versuchten. Sehr interessant erschien mir die Mitteilung eines Arztes, daß jene rätselhafte Schrift auch in der medizinischen Fachwissenschaft eine Rolle gespielt hat. In den »Ägyptischen Geheimnissen für Mensch und Vieh« des gelehrten Magiers Albertus Magnus befindet sich die Anweisung, die Worte Sator Arepo usw. auf Streifen zu schreiben und den kranken Haustieren gegen Hexerei und Teufelswerk einzugeben. Auch gegen Brandgefahr sollen sie sich bewähren: man schreibe Sator Arepo usw. auf jede Seite eines Zinntellers, und werfe ihn in die Flammen, sogleich wird das Feuer geduldig verlöschen. Das hohe Alter der Spruchformel wird ja durch anderweitige Tatsachen genügend erwiesen; aus den Anweisungen des Doctor universalis Albertus Magnus ersieht man aber, daß sie sich bereits im dreizehnten Jahrhundert zu weitreichender Geltung durchgesetzt hatte.

Steckt vielleicht wirklich eine Gebetformel in dem Spruch? und wäre es möglich, sie offenkundig zu entwickeln?

Ein geistreicher Zeitgenosse, H. William, damals im Felde, hat auf Anregung des von mir frisch entrollten Problems den überaus kühnen Versuch gewagt, von den Einzelworten abzusehen, vielmehr nur die 25 Buchstaben des Quadrats nach der Methode des Rösselsprungs zu ordnen. Sein Ergebnis ist staunenswert: auf zwei verschiedenen, symmetrischen Rösselsprung-Zickzacklinien ermittelt er restlos: »Oro te pater, – oro te pater, – sanas!« »Ich bitte dich, Vater, Ich bitte dich, Vater, du heilst!« Kein Buchstabe bleibt übrig, und das Ganze erklingt als ein Stoßgebet in menschlicher Notlage.

Ich halte es nicht für ausgeschlossen, daß diese scharfsinnige und höchst verblüffende Deutung für die Zukunft den Sieg erringen wird, als einer magischen Frage magische Beantwortung.

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Essay entnommen aus Moszkowski,
Alexander: Unglaublichkeiten. Ernste und heitere Paradoxe. Berlin: Eysler [ca. 1920], als Online-Text im Projekt Gutenberg

Über Alexander Moszkowski (1851 - 1934):