Mittwoch, 25. Juli 2007

Georg Philipp Harsdörffer: Frauenzimmer Gesprächspiele


Harsdörffer, Georg Philipp: Gesprachspiele : So Bey Ehrn- und Tugendliebenden Geselschaften außzu üben. Dritter Theil
Nürnberg, Endter 1643, 472 Seiten


Kategorie: Buchstabenpalindrome
Art: Erwähnung

Georg Philipp Harsdörffer lebte von 1607 bis 1658. Neben seiner beruflichen Tätigkeit als Assessor arbeitete er als Schriftsteller, Übersetzer und Wissenschaftler. Er gilt als einer einer der wichtigsten Autoren des Barock und gründete 1644 mit Johann Klai den Nürnberger Dichterkreis. Seine Dichtung kennzeichnet sich durch gelehrte und manchmal verspielte und übersteigerte poetische Formen. Dazu gehören Anagramme, wie sie u.a. auch im 3. Teil seiner "Frauenzimmer Gesprächspiele" enthalten sind:
Cassandra: Koennen wol mehrerley Woertlein auß einem gezwungen werden?
Reymund: Leichtlich / wann selbe auch wenig Buchstaben haben. Zum Exempel:
Lieb: Beil
Es ist kein Pfeil/ kein Feur / kein Seegen oder Zangen /
Es ist ein hauend Beil / die Lieb und ihr Verlangen.
Angelica: Lieb : Leib
Die Lieb ohn Gegenlieb pflegt nicht lang zu bestehen /
Gleichwie deß Menschen Leib ohn Speise muest vergehen
Vespasian: Lieb : Bley
Die Lieb verraeht sich selbst und weiset daß sie sey /
Geschwind zerschmolzen Erz / und bald erkaltes Bley.
Julia: Lieb : Ubel
Wann man die Lieb versetzt / so kom das Ubel rauß /
Wer nicht bestaendig liebt / der haelt ihm uebel Hauß
Degenwert: Lieb
Leib: Ubel i in ü verwechselt
Beil: Bley i in y verwechselt
Die Lieb in unsrem Leib / heißt Ubel mancherley /
Bald ists ein schneidend Beil / bald gantz erstartes Bley.
Cassandra: Es hafftet in der Lieb nicht viel Bestaendigkeit /
Weil sein gar kurzer Nam so manchen Wechsel leidt.1

Die neuere Literaturforschung hat die Anagramm-Dichter des Barock offenbar wiederentdeckt und zu neuen Ehren erhoben:
- 1997 Balogh, Endre: Deutschsprachige Poetiken im 17. Jahrhundert
- 2000 Hundt, Markus: "Spracharbeit" im 17. Jahrhundert. Berlin; New York: de Gruyter
- 2002 Goebel, Eckart & Koppenfels, Martin von: Die Endlichkeit der Literatur. Akademie Verlag

Dass dies nicht immer so war, zeigt das "Handbuch einer allgemeinen Geschichte der Poesie" von 1833:
"je mehr die bestehende Welt ihre Formen zerbracht, um so mehr musste sich der Geist in seine Innerlichkeit flüchten, um hier durch den Gedanken des Ewigen im Strudel der Verwüstung die Kraft zur muthigen Ausdauer im Wechsel zu erhalten. Auf der anderen Seite musste aber ein solcher Verlust auch dazu führen, theils mit kalten Witz in äusserlichem Spiel der Phantasie, theils mit einer elegischen Wehmuth in sanften Gefühlen eine Befriedigung zu suchen. Dies geschah in der Nürnberger Schule der Pegnitzschäfer. Sieht man auf die Diction derselben, so ist das Bestreben, sich Opitz anzureihen, bei ihren Dichtern unverkennbar; aber der Inhalt nahm eine ganz andere Richtung; die Poesie wurde matt, süsslich und tändelnd. Als Repräsentant der weltlichen Frivolität und leeren Spielerei mit Witzen und abgeschmackt allegorischen Vergleichungen ist hier G.P. Harsdörffer, gest. 1658 anzusehen."2

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1 zit. nach Paul Fleming in Goebel, E. & Koppenfels, M. (Hrg.): Die Endlichkeit der Literatur, Akademie Verlag 2002, Seite 35f
2 Rosenkranz, Karl: Handbuch einer allgemeinen Geschichte der Poesie. Halle: Eduard Anton 1833, Seite 359