Uraufführung von Andreas Kerstings "metallatem" beim 4. Forumkonzert des RIAS Kammerchores am 5. Mai 2007 in der Treppenhalle des Landgerichts Berlin:
Das Foto der Treppenhalle kann gut als Sinnbild dienen, womit man es bei Palindromen zu tun hat. Es sind Wortgebäude, die ausschließlich von ihrer symmetrischen Innenarchitektur geformt und getragen werden. Filigrane Raumschöpfungen, die man mit eigenen Augen gesehen haben sollte, weil jede Deskription nur ein Abglanz des Wesenhaften wäre. Wie aber vertont man Palindrome? Wie bringt man etwas zu Gehör, das sich nur dem Auge erschließt? Vielleicht so, wie man als Besucher in dieser Treppenhalle steht: man lässt sie auf sich wirken. Impressionen wären ja bereits Klangbilder unserer Empfindsamkeit. Aber Palindrome sind im Gegensatz dazu weit von jeder ästhetischen Formvollendung entfernt. Man findet in ihnen nur Sprachverbiegung: statt Gänsehaut nur Haarsträubendes ;) Im Bemühen, auf Biegen und Brechen einen derartigen sprachlichen Ausnahmezustand zu erschaffen, erhält man halsbrecherische Konstrukte, reine Machbarkeitsstudien, die nichts außer sich selbst tragen: keinen Sinn, keine Botschaften. Der experimentellen Lyrik ist das egal. Jemandem, der nach Inspiration sucht, sicher nicht ...
Man kann es Andreas Kersting also nur danken, dass seine Vertonung alles andere ist, als eine Fortsetzung des Textes mit anderen Mitteln ;) Die Komposition ist eine eigenständige und gelungene Hommage an die Spiegelbildlichkeit auf höherer Ebene:
Sie erhebt die Sprache vom Papier und löst die Worte in ihren überbeanspruchten Bindungen auf. Anders, als es dem Text nach zu befürchten stünde, wird er in dieser sphärischen Entgrenzung tatsächlich zu einem echten Hörerlebnis. Davon aber müsste sich wohl jeder selbst ein Bild machen ;) Ich hoffe sehr, dass sich dazu noch die ein oder andere Gelegenheit bieten wird.
Dem RIAS Chammerchor mit seinen hervorragenden Solisten und Musikern sei für diesen rundum gelungenen Konzertabend gedankt.