Sonntag, 18. März 2007

Palindrome goes poetry: Stadt.Fluchten

Wenn Dichtung eine Art Niederschlag aus Geistesgewittern bildet, dann sind Palindrome dabei vielleicht so etwas wie Fulgurite: Stein gewordene Blitze, geschmolzener Sand. Selten, bizarr und unansehnlich ;)
Sie aufzuspüren, auszugraben, zu sammeln und Symmetrisches daraus zu puzzeln, ist mehr als beschwerlich, es dann noch einer bestimmten Form oder Figur ähneln zu lassen, nahezu unmöglich. 19 Gedichte hatte ich bis März 2006 aus diesem Material gefertigt und alle hatten sich einer intentionalen Einflussnahme entzogen. Da, wo die Worte vor dem Spiegel stehen und mit sich selbst beschäftigt sind, gehorchen und gehören sie einem nicht mehr ;)
Denkbar schlechte Voraussetzungen also, um mich als 20. an einen passenden Beitrag zum Thema Stadt zu wagen. Ein Wort übrigens, das im Deutschen unumkehrbar ist. Ich wollte es aber um jeden Preis im Titel unterbringen. Da half wie so oft nur Eines: beim Nachbarn klingeln und borgen ;) Im Englischen z.B. wandelt sich die Stadt von City zu ~ytic, einer Endung, die man von u.a. von analytisch her kennt. So ergab sich um ein paar Ecken:


Late protolytic age: Megacity? Lot or petal.

Protolyse beschreibt im engeren Sinne eine Protonenübertragung von Säuren zu Basen. Das ist weiter gefasst Zerfall, Dissoziation und Fließgleichgewicht. Damit öffnete sich eine unheimliche, fast philosophische Dimension:

Spätes Stadium des Zerfalls: Großstadt? Ein Stück Land oder Blütenblatt.

Zivilisationskritik, Apokalypse und Entropie in einem. Wow. Was für ein Fundstück ;) Und es kam noch besser. Die Suche nach typisch urbanen Attributen führte u.a. zu "Beton & Metall", einer der seltenen Konstellationen, die in eine Endlosschleife münden können:


An einer Stelle immer wieder aufgebrochen, erzeugte das eine palindrome Kaskade, die sich letztlich zur vollen Blüte entfalten ließ:


Was auf den ersten Blick vielleicht etwas "wüst" aussieht, folgt einem regelmäßigen Aufbau:


Natürlich wird der aufmerksame Leser feststellen, dass sich bei diesem Schema ein 6. Blütenblatt hinzugeschummelt hat. Man möge es mir nachsehen: so ging es leichter zu zeichnen.
Wolfgang Kayser schrieb einmal: "Eine Dichtung lebt und entsteht nicht als Abglanz von irgend etwas anderem, sondern als in sich geschlossenes sprachliches Gefüge." Sogesehen braucht sich dieser Text wohl nicht zu verstecken ;)